Gedanken der Autorin Kim Langner am Tag der Uraufführung

4. Okt. 2022

Heute ist der große Tag.
Heute ist die Premiere meines Stückes ALICE – SPIEL UM DEIN LEBEN.

Hier die (sehr lange) Geschichte wie es dazu kam. 2013, als ich zum ersten Mal nach Israel reiste und die Familie Gornstein kennen, und bis heute von ganzem Herzen lieben, lernte, erfuhr ich zum ersten Mal von Alice Herz-Sommer, Elis Großtante, und von ihrer Geschichte. Sie war eine Überlebende von Theresienstadt, wie mein Urgroßvater, den ich leider nie kennenlernen durfte. Und sie war zu diesem Zeitpunkt die älteste Shoa-Überlebende der Welt, es gab Biografien über sie, Dokumentationen, ihre Geschichte war einzigartig.
Denn sie war Pianistin. Sie überlebte das Lager, weil sie so phänomenal Klavier spielten konnte, unter anderem alle (!) Chopin-Etüden. Auswendig!
Ein Jahr später ging ich auf Tournee mit Natalie O’Hara, die jeden Abend, an jedem Tourneeort ein Klavier oder einen Flügel auftrieb und – phänomenal – spielte.

Also fragte ich sie, ob sie mir eine Chopin-Etüde vorspielt. Natalie, die nicht nur eine grandiose Schauspielerin und Pianistin ist, sondern auch verdammt intelligent, schaute mich scharf an und antwortete: „Du hast nicht zufällig die Biografie von Alice Herz-Sommer gelesen?“. Doch.
Sie spielte für mich, gab mir meine erste Klavierstunde und wir teilten gemeinsam unsere Faszination für diese kleine Pianistin mit dem lachenden Herzen.
Jahre später, 2018, auf einer Theaterveranstaltung in Stuttgart, für die wir beide extra angereist waren, kam sie zu mir und fragte: „Sag mal, du bist doch auch Autorin, ich wollte so nen Abend über Alice Herz-Sommer machen, dabei ein bisschen Klavier spielen und Passagen aus „Ein Garten Eden inmitten der Hölle“ (die beste Biografie über sie) lesen. Kannst du mir da eine Strichfassung machen?“
Da passierte mir wohl einer dieser seltenen Momente, die man gemeinhin als „Geistesblitz“ bezeichnet. Ich sah das Stück vor mir, Natalie in allen Rollen, leere Bühne, nur ein Klavier, viel Pantomime… und ich antwortete: „Nein. Ich schreib dir ein Stück. Ich weiß genau wie es werden muss! Und François (mein bester Freund, den Natalie auch gut kannte) muss es inszenieren.“
Natalie lachte und sagte „mach mal“ – noch wusste sie ja nicht, was das auf sie zukommen würde…

Darauf folgten zwei Jahre Arbeit. Allein über ein Jahr reine Recherche.
Die Familie Gornstein stellte mir Ariel Sommer, Alices Enkel, vor, der mich in und aus London unglaublich unterstützte (Merci de tout mon cœur, Ariel!). Ich traf die Shoah-Überlebenden und Freundinnen von Alice: Anita Lasker-Wallfisch und Zdenka Fantlova in London, reiste mit Natalie nach Prag und Theresienstadt und wir trafen in Tel Aviv Alices Neffen Chaim sowie ihre Klavierschülerin Ester Marom und und und…
Die Unterstützung, die ich erfuhr, war unfassbar. Alle Türen standen sperrangelweit auf und das Stück schrieb sich beinahe von selbst…
Nun war es zwar geschrieben, doch dieser Theater-Stil ist in Deutschland zu wenig bekannt. Schickt man es (deutschen) Intendanten oder Dramaturgen, halten sie es für „unspielbar“.
Ein Theaterverlag, der den französischen Markt schlechter kennt als LITAG Theaterverlag München (Eva Giesel, danke, dass du daran geglaubt hast!!), würde so ein Werk nie aufnehmen.
Und auch Natalie schaute mich staunend an: „Das soll ich spielen? Wie soll das denn gehen?“

Ich reiste mit ihr nach Paris, um ihr den Stil zu zeigen. Ich wusste, wenn sie ein Mal diese Poesie sieht, die aus „nichts“ entsteht, die Spielfreude, die Kunst dahinter, wenn sie den Stil verstanden hat, dann wird sie ihn auch beherrschen wollen. Und mit demselben Ehrgeiz und Talent daran arbeiten, mit denen sie sonst ihre Musikstücke oder „klassischen“ Theaterrollen angeht.
Genau so kam es.
Natalie hatte Feuer gefangen.
Nun kam ihr Team ins Spiel.

François, habe ich ja schon erwähnt. Er ist der einzige Regisseur in Deutschland, der das so inszenieren konnte! Er kennt dieses Stil wie kein anderer „deutscher“ Regisseur, sowohl als Schauspieler, als auch aus eigenen Inszenierungen; kennt Natalie und mich so gut, dass er blind versteht, was ich warum geschrieben habe und welche Mittel Natalie in welchem Moment benötigt; versteht den Humor und die Poesie, die so ein Stück braucht und ist einfach so gnadenlos gut, dass ich mich vor seinem Talent, vor ihm, verneige!
Ich kann nicht genug betonen, wie schwierig und anspruchsvoll das ist, was Natalie da abverlangt wird – und jetzt rockt sie diesen Abend, als hätte sie nie etwas anderes getan!

Dieses Stück verlangt ihr aber nicht nur schauspielerisch Unfassbares ab. Denn abgesehen davon, dass sie über 20 Rollen alleine spielt, muss sie quasi „nebenbei“ ein halbes Klavierkonzert stemmen. Ohne Noten.
Auch da hat sie einen unglaublich tollen Kollegen mit ins Boot geholt, Matthias Stötzel, der phänomenale Arrangements geschrieben und Natalies Spiel zu einer Qualität gebracht hat, mit der sie durchaus ein paar Kilometer südlicher in der Elbphilharmonie auftreten könnte!
Überhaupt hat sie ein unglaubliches Team!
Michael Hildebrandt, der beste Co-Produzent, den Natalie sich wünschen konnte, der schon wahnsinnig früh an dieses Werk geglaubt hat, Daniel vom TNL (bester Lichtdesigner possible!), die Jungs vom Studio Eigengrau, die nicht nur dieses grandiose Plakat gemacht haben, sondern auch noch alle Töne und Projektionen…

Und nicht zu vergessen, das Team der Hamburger Kammerspiele (unser UA-Wunschtheater!) dass in einem (!) Tag Endproben durchgepowert hat und Unmögliches vollbringt! Ja. Ein Tag. AMA, HP1, HP2, GP… dafür war EIN Tag disponiert. Also ein Riesen Dank an die vielen Daniel(le)s und die wenigen Nicht-Daniels!
So, der längste Beitrag, den ich je auf Facebook gepostet habe kommt langsam zum Ende…
…ich bin von ganzem Herzen dankbar, dass all diese Menschen, wahnsinnig genug waren, an dieses „unspielbare“ Projekt zu glauben. Von ganzem Herzen dankbar, für die überbordende Unterstützung!

Ein fettes Toitoitoi uns allen!

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