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„Am Ende gibt es tosenden Applaus, das Publikum in den fast voll besetzten Hamburger Kammerspielen steht auf, vor der Schauspielerin Natalie O`Hara aber auch vor der Überlebenden Alice Herz- Sommer (1903 -2014 ), die das Konzentrationslager Theresienstadt überlebte, auch durch ihre Musik als Pianistin. So endete die letzte Vorstellung der Serie nach der Uraufführung von “Alice – Spiel um Dein Leben” von Kim Langner – ein Musikalisches Theaterstück über die Pianistin Alice Herz- Sommer in der Regie von Francois Camus.

Natalie O´Hara gelingt unglaubliches: innerhalb von eineinhalb Stunden schlüpft sie abwechselnd in alle in dem Stück vorkommenden zwanzig Rollen, in die Hauptrolle der Alice Herz-Sommer selber, in die ihres kleinen Sohnes, ganz am Beginn auch in die ihrer Mutter, ihres Mannes, sowie mehrerer Leute, denen sie im Lager begegnet. Was auch als Slapstick hätte enden können, gelingt hier auf einfühlsame, grazile Art und Weise. Durch geringfügig veränderte Posen, durch das Heben und Senken der Stimme und durch die in schneller Abfolge gelingende Einfühlung, ja Empathie für die jeweilige Rolle ist man nach kurzer Zeit der Meinung, man hätte ein ganze Arsenal von Darstellern auf der Bühne – man folgt ihr in jedem Moment.

Und sie spielt am Piano, selber alle Stücke, auswendig, sie spielt Chopin, Beethoven, Schubert, Debussy, Gershwin – virtuos, glanzvoll und meisterlich. Und man weiß gar nicht, was man mehr bewundern soll, ihr Theater- oder ihr Klavierspiel.

Das auf der Bühne platzierte Piano ist Teil eines eher minimalistischen Bühnenbildes, nur ein weißer Holzstuhl hebt sich noch vom ansonsten schwarzem Raum ab, das gibt der Darstellerin, und den Personen, die sie spielt, sehr viel Raum, sich zu bewegen, zu agieren und zu interagieren, mit den Personen, die sie selber spielt. Im Hintergrund eine Leinwand, die sparsam eingesetzt wird, um Jahreszahlen, Ereignisse und Fortläufe einzublenden. In einer Szene werden Zeichnungen von Häftlingen aus dem Lager an diese Wand projiziert, während sie am Klavier sitzt und spielt und spielt – um ihr Leben, so wie andere Häftlinge gezeichnet haben, um zu überleben.

Erzählt wird die Geschichte von Alice Herz-Sommer zwischen dem Jahr 1942, der Deportation ihrer Mutter, und dem Jahr ihrer Befreiung 1945: Sie lebte in Prag, war bereits eine gefeierte Pianisten – nach dem Einmarsch der Deutschen in die Tschechoslowakei änderte sich für sie und die anderen Juden das Leben schlagartig. Identifizierung, Kennzeichnung, Festnahme, Abtransport, Vernichtung, der vorgesehene Weg der Juden in Europa der Nationalsozialisten gilt auch für die Juden in Prag. Im Jahre 1942 wird die Mutter von Alice Herz-Sommer abgeholt, deportiert, “zum Arbeitseinsatz in den Osten” – heißt es, “Arbeiten? meine Mutter? mit 72” ist die ungläubige Nachfrage von Alice Herz-Weiß. Ein Jahr später wird auch sie mit ihrem Mann und ihrem sechsjährigen Sohn Stefano nach Theresienstadt deportiert, wo sie nicht nur versucht zu überleben, sondern auch noch in ständiger Sorge, ja, Umsorge für ihren Sohn ist. Wenn sie auf der Bühne liegt, ihren Sohn im Arm hält, dem sie ein Gedicht vorträgt, um um Würde zu ringen, indem sie ihrem Sohn Trost spendet ist das ein Höhepunkt des Abends.

Im Lager entdeckt sie sie ein Piano, “Wo man Musik macht, kann es ja nicht so schlimm sein“ – so ihre Hoffnung – sie wird eingesetzt als Pianistin, spielt vor Häftlingen und dem Lagerpersonal – soll auch spielen in dem Propagandafilm “Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Auch wenn diese Klaviereinsätze durch den KZ- Alltag und seine Schergen bestimmt sind, sie schafft sich den Raum – sie spielt um ihr Leben, spielen ist für sie Leben, war es immer gewesen und wird es bis zum Schluss ihres langen Lebens bleiben.

Dieses Spielen um das Leben hat durchaus eine doppelte Bedeutung: Als gefragte Pianistin ist sie ein wenig mehr geschützt vor dem Abtransport und somit vor dem sicheren Tod – aber für sie ist das Spielen noch sehr viel mehr, sie braucht es, wie die Luft zum Atmen. In der Kommunikation mit Mithäftlingen wird dieses Überleben plastisch, wird klar, dass ein Leben in dieser Situation zu einem reinen Überleben wird – wie soll das Kind in dieser Situation lernen, wo jede Übung, aus dem Leben gegriffen, hier keine Gültigkeit hat? Die Bedrohung durch die SS macht deutlich, dass das nackte Leben hier ständig in Gefahr ist. Ihr Mann wird aus dem Lager fort transportiert, und man ahnt einfach nur, dass er nicht überleben wird. (Er wurde nach Auschwitz deportiert, kommt später in das KZ Buchenwald, dann nach Flossenbürg und letztendlich nach Dachau, wo er wenige Wochen vor der Befreiung an Flecktyphus stirbt.) Kind und Mutter zerreißt es, zwei zerrissene Personen in einer, sie machen weiter.

Das Erzähltempo ist flott, während des Spielens am Piano geht die Zeit weiter, das passt in eine Geschichte, die erzählt, wie die Musik die Zeit, das Überleben und die Lebenszeit möglich macht. Das Spiel und die ganze Szenerie in Theresienstadt, die Folter, die Erniedrigung, die Schüsse, die Morde entstehen durch das fulminante Spiel von Natalie O’Hara im Kopf des Zuschauers. Die Handlung endet damit, dass Alice Herz-Sommer nach ihrer Befreiung im September 1945 mit ihrer Schwester in Jerusalem telefoniert, um diese auf eine Radioausstrahlung aufmerksam zu machen, in der sie die Appassionata (Ludwig van Beethoven) spielt. Am Ende kommt Alice Herz-Sommer selbst zu Wort – auf der Leinwand redet sie im hohen Alter über Leben, wie eng es mit der Musik verbunden war. Und sagt, sie sei dankbar für alles – man ist berührt, auch ein wenig verschämt. Natalie O’Hara setzt sich vor die Leinwand, mit dem Rücken zum Publikum. Der Abend ist eine Hommage an Alice Herz-Sommer, an ihr Leben, an ihr Überleben, auch als Triumph über den Nationalsozialismus der Deutschen – und es ist der Abend der großartigen Schauspielerin Natalie O´Hara.“

Silke Opfer (Vorstellungsbesuch 5.6.2023)

HAMBURGER ABENDBLATT

„Mit erstaunlicher Fingerfertigkeit und starkem Ausdruck greift die Schauspielerin Natalie O’Hara in die Tasten. Auch ohne Notenbild beherrscht sie die „Appassionata“-Beethoven-Sonate perfekt.

O’Hara (…) meistert den Monolog versiert. Vor allem ihre Zwiesprache mit dem Flügel überzeugt.Der Abend ist ein wichtiges Stück Erinnerungskultur, wie sie nur die wenigen noch lebenden Zeitzeugen der NS-Schreckensherrschaft vermitteln können…Ein eindringlicher Abend über eine beeindruckende Frau, die in die Grausamkeit der Zeitgeschichte geriet und der es gelang, einen Weg für sich aus der Verzweiflung zu finden.“

HAMBURGER MORGENPOST

„Natalie O’Hara meistert in ihrem bewegenden Bühnensolo (…) eine herausfordernde Rolle: Facettenreich und pointiert gestaltet sie das berührende Schicksal der in Prag geborenen jüdischen Pianistin Alice Herz-Sommer, die zusammen mit ihrem sechsjährigen Sohn im KZ Theresienstadt ums Überleben kämpft. …Ein Theaterabend gegen das Vergessen, der lange nachwirkt.“

NDR 90,3 KULTURJOURNAL

„Hier ist eine echte Bühnenkünstlerin zu erleben.“
Peter Helling

Trierer Volksfreund

„Mit dem Bühnenstück „Alice – Spiel um dein Leben“ hat Natalie O’Hara der jüdischen Pianistin Alice Herz-Sommer.ein bewegendes Denkmal gesetzt.

Ein Flügel und eine sich verausgabende Schauspielerin und Musikerin – mehr brauchte es am Samstag auf der Bühne des llie­rer Theaters nicht für eine intensive Zeitreise in das Leben der jüdischen Pianistin Alice Herz-Sommer (1903- 2014). Natalie O’Hara brachte das im Oktober uraufgeführte musika­lische Schauspiel aus den Hambur­ger Kammerspielen erstmals auf die große Theaterbühne und spielte alle knapp zwe􀀇 Dutzend Rollen selbst – ohne Kostümwechsel, ohne Re­quisiten und am Flügel auch ohne Noten. Ein Wagnis sicherlich auf der weitgehend leeren Bühne im Großen Haus, das den 630 Besuchern einiges an Fantasie abverlangte-aber das ge­lang. Denn O’Hara erwies sich in ein­facher weißer Bluse und grauer Hose als meisterhafte Verwandlungskünst­lerin und ausdrucksstarke Pianistin, deren virtuoses Spiel das Publikum zu Zwischenapplaus hinriss. Eine ausgeklügelte Llchttechnik sowie Ton- und Videoeinspieler, etwa‘ wie Blätter einfliegende Zeichnungen aus den NS-Lagern, unterstützten die Darstellerin.

,,Alice – Spiel um dein Leben“ aus der Feder von Kirn Langner bringt das Leben der aus Prag stammen­den Jüdin Alice Herz-Sommer auf der Grundlage von deren Biografie aus dem Rückblick auf die Bühne. Im September 1945 ist die Musikerin aus dem KZ Theresienstadt befreit und spielt über Radio Prag Beethovens Klaviersonate Appassionata, ein Kon­zert, das die überlebende Schwester Irma in Palästina hört und sie somit aus­findig macht. Chronologisch geht es dann zurück in die Zeit ab Juli 1942, wo erst die 73-jährige Mutter und spä­ter die ganze Familie von den Nazis deportiert wird. Glücklicherweise interessieren sich die Deutschen für die Klavierkünste der Inhaftierten, um sie für ihre Propaganda einzusetzen. Das rettet sie und ihren sechsjährigen Sohn vor dem Tod.

Natalie O’Hara zeigt Herz-Sommer als eine sensible, sehr disziplinierte Frau, die inmitten von Hunger, Käl­te und Gewalt nicht verzweifelt und jedes Bangen und Quengeln ihres Kindes mit etwas Mutmachendem beantwortet, mit wohlwollenden Ge­danken, einer poetischen Geschichte, mit zugewandter Geste. ,,Die Musik ist so schön“, sinniert sie an einer Stel­le, ,,wenn Hitler die hören würde … “ Während draußen Schüsse hallen, klammert sie sich an Melodien in ihrem Herzen. Es ist eine Hommage an eine bewunderte Künstlerin, die aber ohne theatralische Gesten aus­kommt, sondern die bescheidene Person würdigt, die Alice Herz-Som­mer gewesen ist.

Der Abend gegen das Vergessen fordert auch die Zuschauer heraus, lassen sich die vielen Dialoge aus dem Mund einer einzigen Darstellerin doch immer erst etwas verzögert ein­ordnen. Doch werden sie nicht zuletzt von der Präsenz O’Haras und ihrem präzisen Spiel in den Bann gezogen, bei dem sie auch choreografisch die Bühne ausfüllt. Nach dem letzten Ton reißt es das Publikum mit frene­tischem Applaus von den Sitzen. Die gute Nachricht für alle, die den Abend verpasst haben: Intendant Manfred Langner überlegt, das Stück erneut nach Trier zu holen.“